ADB:Albert I. (Bischof von Riga)

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Artikel „Albert I., Bischof von Riga“ von Richard Hausmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 196–202, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Albert_I._(Bischof_von_Riga)&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 11:40 Uhr UTC)
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Albert I., Bischof von Riga, 1199–1229, der Gründer der deutschen Colonie in Livland, stammte aus dem bremischen Rittergeschlecht der Appeldern und ist zuerst um 1189 als bremischer Domherr nachweisbar. Aus dieser Stellung wurde er im Frühling 1199 zum Bischof von Livland erhoben. – Seit etwa einem Menschenalter hatte der deutsche Kaufmann den Weg in das ferne Livland gefunden, der vortheilhafte Handel mit den Eingeborenen lockte ihn zur häufigen Wiederkehr. Bald schloß sich ihm der christliche Glaubensbote an. Aber die fromme Predigt des milden Bischof Meinhard, wie die kriegerische Gewalt des ungestümen Bertold fruchteten gleich wenig; als letzterer in offener Schlacht fiel, ging auch die schwache christliche Colonie unter, sein Nachfolger A. mußte völlig von neuem anfangen. Mit ganzer Kraft trat er für seine Aufgabe ein, über Ziel wie Mittel wurde er sich bald klar: im engsten Anschluß an die Heimath soll in Livland ein geistlicher Staat, wie ihn die westliche Culturwelt kennt, mit dem Bischof als Oberhaupt entstehen, zunächst durch die Kämpfer, welche gegen reichen Sündenerlaß aus der Ferne in den heiligen Krieg gegen die Heiden ziehen, sobald es aber möglich wird, durch die eigenen Kräfte des Landes. Nach beiden Richtungen entwickelt A. eine staunenswerthe Thätigkeit, von außen die Kreuzfahrer Livland zuzulenken, in der Colonie zu schaffen, was dieselbe lebensfähig und selbständig macht.

[197] Von der Gunst der mächtigen Könige Knut von Dänemark und Philipp von Deutschland gefördert, leitete A. im Frühling 1200 zum ersten Mal ein großes Pilgerheer auf 23 Schiffen in den Osten und brach den Widerstand, welchen die Dünaliven seiner Landung entgegensetzten. Sein praktischer Blick erkannte sofort, wie vor Allem zum Gedeihen der Colonie ein günstig gelegener Ausgangspunkt noth that, daher erwarb er an der Mündung des schiffbaren Flusses den besten Hafenplatz des Landes zum Verkehr mit dem Westen und erbaute hier 1201 die Stadt Riga, welche nicht zum wenigsten durch die Sorgfalt des Bischofs, der sie mit wichtigen Vorrechten ausstattete und hierher seinen Sitz verlegte, rasch zu einem reichen Gemeinwesen erblühte. Noch bedeutsamer aber als diese Gründung war die andere, welche 1202 in Abwesenheit des Bischofs, aber entschieden mit dessen Bewilligung, sein Stellvertreter Dietrich vornahm: in Art und gemäß den Gelübden der Ritterorden des heiligen Landes stiftete er den Orden der Ritterschaft Christi zum steten Kampf gegen die Heiden in Livland. Und weiter legte A., indem er Mannen seines Gefolges mit Burgen des Landes belehnte, in diesen ersten Jahren auch den Grund zu der später so wichtigen Stiftsritterschaft. Auch die Errichtung des ersten livländischen Klosters in Dünamünde wurde zur Stärkung der jungen Kirche bereits jetzt beschlossen.

Das waren die Keime, aus welchen inmitten fremder Stämme ein deutscher staatlicher Organismus erwachsen sollte. Und zu den Kräften des Landes, die er so seinen Zwecken dienstbar zu machen sucht, gewinnt A. ununterbrochen andere aus der Ferne. Von unschätzbarem Werth war ihm dabei die warme Theilnahme, mit welcher die päpstliche Curie seine Arbeit begleitete, fort und fort ergingen Bullen Innocenz’ III., welche die gesammte Christenheit zu Hülfsleistungen für die junge Kirche aufriefen; bald erhielt A. die weitesten päpstlichen Ablaßbriefe, die für eine Fahrt nach Livland denselben völligen Sündenerlaß zugestanden, wie für eine ins gelobte Land, denn wie dieses dem Sohne, wurde Livland der Mutter Gottes geweiht. A. ließ es dann an eigener Arbeit nicht fehlen: „Eifrig“, so schildert der Zeitgenosse, „wartete er des ihm übertragenen Amtes der Bekehrung der Völker, bei seinen jährlichen Reisen nach Deutschland und von dort zurück ertrug er fast unerträgliche Mühsalen.“ Nur kurze Zeit weilt er in Livland, wenn er die Pilgerschaaren dahinführt, rasch ordnet er die Verhältnisse, kehrt schleunig nach Deutschland zurück, „durchzieht Flecken, Gassen und Kirchen und sucht Pilgrime“ fürs nächste Jahr. 13 Mal hat er die gefahrvolle Seereise gemacht. Sachsen, Friesland, Westphalen, die Gegenden des Rhein vernahmen am häufigsten seine beredten Schilderungen von der Noth der Colonie, von den Anfeindungen der Nachbarn, der Treulosigkeit der Neubekehrten. Durch die Predigt des Bischofs gerührt, durch den reichen Ablaß, vielleicht auch durch weltliche Vortheile an Land und Leuten, die A. in Aussicht stellte, gelockt, ziehen jedes Frühjahr die Pilger über Lübeck in den Hafen Livlands. Mit den deutschen Ansiedlern vereint rückten sie unter der Marienfahne ins Feld; geleitet durch den Lauf der Flüsse, der Düna, dann der Aa, drang der Ritter zusammen mit dem Missionar ins Land: sobald die Heiden für ihren Gehorsam Geiseln stellten und die Taufe versprachen, wurde der Friede gewährt. Bei einer solchen Thätigkeit, bei der großen kriegerischen Ueberlegenheit der Deutschen konnte der Erfolg nicht ausbleiben. Bereits 1206 galt das Land der Liven zwischen Düna und Aa als unterworfenes Gebiet des Bischofs von Riga; bald kamen theils freiwillig, theils gezwungen die kleinen russischen Fürstenthümer der obern Düna hinzu, dann schloß sich das nordöstlich gelegene Lettland an, 1208 trat es, um vor den Räubereien der Esten und Russen gesichert zu sein, unter die Botmäßigkeit des Bischofs. Als sich A. so im Lauf weniger Jahre zum Herrn weiter Landschaften erhoben sah, da konnte es ihm nicht genügen, durch eifrige Mission [198] für ihre Bekehrung zu sorgen, auch ihr politischer Zustand mußte festgestellt werden, nicht als unabhängiger Fürst konnte und wollte der deutsche Bischof hier gebieten, sondern nur als Glied eines größern Ganzen; eng suchte er die Bande mit der Heimath zu knüpfen, wieder wandte er sich an den König Philipp und 1. April 1207 empfing er auf dem Hoftag zu Sinzig Livland als Lehn des Reiches, sowie das Versprechen des Schutzes und der Hülfe im Kampf gegen die Heiden.

A. durfte jetzt verlangen, in aller Form Rechtens als Oberhaupt der Colonie zu gelten. Aber nicht Alle wollten ihn als Herrn anerkennen, am wenigsten der Orden. Dieser hatte bisher neben den Pilgern besonders eifrig die Eroberung des Landes gefördert; als er nun auch dafür seinen Lohn forderte, war A. billigdenkend genug, den dringenden Wünschen nachzugeben und ein Drittel des Livenlandes dem Orden 1207 abzutreten; als aber jetzt noch weitere Gelüste desselben nach möglichster Selbständigkeit auftauchten, da suchte A. einen solchen gefährlichen Nebenbuhler niederzuhalten, eine unabhängige Gewalt wollte er nicht neben sich im Lande dulden. Es ist der Beginn des unseligen endlosen Streites zwischen Bischof und Orden. Um das bisher noch außerordentlich unklare, schwankende gegenseitige Verhältniß festgestellt zu sehen, begab sich A. 1210 mit dem Ordensmeister Volquin zum gemeinsamen Oberhaupt Papst Innocenz III. Wie sehr dieser auch bisher das Unternehmen Alberts gefördert hatte, ihm lag doch mehr am Gedeihen der Colonie als an der Befriedigung der ehrgeizigen Wünsche des Bischofs, der übermächtig zu werden drohte; daher entschied der den Ritterorden überhaupt gewogene Papst das staatsrechtliche Verhältniß der livländischen Machthaber unter einander keineswegs zu Gunsten Alberts, seine Stellung als Haupt der Colonie wurde sowol rechtlich als räumlich eingeschränkt: allerdings ist er dem Orden übergeordnet, aber nur vom Meister, nicht auch von den einzelnen Rittern darf er Gehorsam verlangen; auch Herr des ganzen Liven- und Lettenlandes bleibt er, allein wie vom erstern muß er auch vom letztern dem Orden ein Drittel zu Lehn geben; vor Allem wichtig aber war, daß der Papst bestimmte, A. dürfe über diese beiden Landschaften nicht hinausgreifen, habe sich nicht ohne Weiteres auch als Herr aller fernern Eroberungen zu betrachten, über diese behielt sich vielmehr Innocenz selbst die Entscheidung vor.

Auf sein so beschränktes Gebiet concentrirte sich zunächst die Thätigkeit des Bischofs: er suchte es zu ordnen, wußte den russischen König von Polozk zum Verzicht auf alle Ansprüche zu bewegen, welche derselbe auf Livland zu haben behauptete, erleichterte das Loos seiner Unterworfenen, indem er den drückenden Zehnten gegen ein bestimmtes Maß abzulösen gestattete, schlug einen gefährlichen Aufstand der Liven, welche durch mancherlei Willkürlichkeiten der Ritter gereizt worden waren, mit Gewalt nieder. Dazwischen predigte er wiederholt in Deutschland das Kreuz, rief 1215 auf dem großen Concil in Rom die Hülfe der ganzen Christenheit an gegen die Noth der Kirche Livlands, wo gerade jetzt der Krieg wieder hartnäckiger und blutiger geführt wurde, als je früher. Die Esten nämlich, zahlreicher, kräftiger, freiheitsliebender als ihre südlichen Nachbarn, die Liven und Letten, wiesen erfolgreich alle Angriffe der Deutschen zurück. 1208 hatte der Kampf begonnen, der Orden vor Allem führte ihn mit ganzer Kraft; hier wo A. durch den Papst ausgeschlossen war, wollte die Ritterschaft, was ihr in Livland nicht gelungen, Herr eines völlig unabhängigen Gebietes werden. Um dem zuvorzukommen, ernannte A. 1211, bevor noch irgend ein estnisches Gebiet unterworfen war, kraft der ihm ertheilten päpstlichen Vollmacht für Estland einen besonderen Bischof Dietrich. Wol hoffte man 1212, als ein dreijähriger Friede geschlossen wurde, das südwestliche Estland unterworfen zu haben, aber 1215 brach der Krieg in unerhörter Heftigkeit von neuem aus, [199] und als die deutschen Waffen doch allmählich nach Norden vordrangen, als A. und Dietrich bereits mit dem Orden Estland unter sich theilen zu dürfen meinten, da rafften sich alle Esten zusammen, riefen die Russen zu Hülfe und drängten die deutsche Herrschaft wieder vollständig aus Estland hinaus. Dieser bald zehnjährige fruchtlose Kampf brachte A. zur Ueberzeugung, die deutsche Colonie in Livland sei allein zur Unterwerfung der Esten zu schwach, dazu bedürfe es einer außerordentlichen Unterstützung, und eine solche schien der eben aus Livland heimkehrende Kreuzfahrer Graf Albert von Holstein, der Neffe und Vasall des mächtigen dänischen Herrschers, vermitteln zu können. In Begleitung des Bischofs Dietrich von Estland und des Abtes Bernhard von Dünamünde begab sich A. mit dem Grafen von Holstein an den Hof des Königs Waldemar II., klagte die Noth seiner Colonie und bat um Hülfe gegen die Esten. Der König lieh dem Gesuch ein willig Ohr: was er seit lange verfolgte, zu dem Kranz weiter Länder, welche von der Südspitze der skandinavischen Halbinsel bis Pommern bereits sein waren, im Osten ein neues Gebiet zu erwerben, um damit seine Alleinherrschaft auf dem baltischen Meer zu bekräftigen, dazu forderte ihn jetzt der auf, der am meisten diesem dänischen Plan sich entgegenzustellen gedroht hatte, der Herr der aufstrebenden deutschen Colonie in Livland. Eine solche günstige Gelegenheit mußte Waldemar benutzen, er sagte seine Hülfe dem Bischof zu. Freilich nicht als einfacher Pilger, nicht gegen bloße Sündenvergebung wollte er kommen: der Eroberer forderte und A. leistete das Versprechen, das noch nicht unterworfene Estland solle der König erhalten. Ein unseliges Zugeständniß, dessen Tragweite A. nicht entfernt übersah.

Nach zweijähriger Abwesenheit traf der Bischof im Sommer 1219 wieder in Riga ein. Das ihn begleitende Pilgerheer war so ansehnlich, daß er, da er sich in die Verhältnisse des Nordens nicht mischen wollte, die Bekehrung eines neuen Gebietes im Süden aufzunehmen beschloß, die Düna überschritt und die Unterwerfung Samgallens begann, zugleich hier ein neues Bisthum errichtete, das er dem Abt Bernhard verlieh. Noch glücklicher als hier gegen die Samgallen war mittlerweile der Kampf gegen die Esten geführt. Von zwei Seiten erfolgte der Angriff: an der Nordküste Estlands landete mit mächtiger Flotte der Dänenkönig und unterwarf die Seelandschaft Revel, während von Süden der Orden mit solchem Erfolg vordrang, daß sich ihm das ganze übrige Estland beugte. Da verlangte plötzlich der Statthalter der dänischen Colonie, Erzbischof Andreas von Lund, vom Orden die Abtretung der neuen Eroberungen in Estland an den König Waldemar. Ordensmeister Volquin wies das schroff zurück. Aber der Erzbischof beharrte bei seiner Forderung, Missionaren, die A. im Frühling 1220 nach Estland sandte, rief er zu: ganz Estland, sei es von den Rigischen erobert oder bis jetzt noch nicht unterjocht, gehöre dem Könige von Dänemark, da es von den rigischen Bischöfen ihm zuertheilt sei. Offenbar hatten diese 1218 bei den Verhandlungen mit Waldemar nicht festgestellt, ob nach dem Erscheinen der Dänen in Estland auch noch die Deutschen dort erobern dürften. Die Dänen leugneten es, Volquin und A. aber stellten sich den Ansprüchen der Dänen auf ganz Estland entgegen. Das erfuhr der König, als er bald darauf im Sommer 1220 seine junge Colonie wieder besuchte. Heftig fuhr er auf und lud Ordensmeister und Bischof vor sich. Während Volquin dem Ruf des Königs folgte und das Recht desselben auf das übrige Estland anerkannte, als ihm dieser den südlichen Theil zu unabhängigem Besitz abtrat, scheute sich A. vor dem König zu erscheinen und floh hülfesuchend in die Ferne. Aber überall verfolgte ihn die Feindschaft der Dänen: nur auf heimlichen Wegen entkam er in Lübeck den Nachstellungen des Königs, er eilte in den Süden zu den Mächtigsten der Christenheit; jedoch an der römischen Curie [200] arbeiteten ihm dänische Gesandte offen entgegen, für den unglücklichen Bischof hatte Papst Honorius III. nur leidigen Trost, für das jüngste und fernste Glied des Reiches Kaiser Friedrich II. nur den Rath Frieden zu halten, Alle an die sich A. noch weiter wandte, gaben ihm die dringende Mahnung, sich nicht mit dem mächtigen Dänenherrscher zu verfeinden. Um A. zum Aeußersten zu zwingen, gebot Waldemar, den Hafen Lübecks, für Livland das Thor nach Deutschland, zu schließen, daß weder der Bischof, noch irgend ein Pilger hinübersegeln könne. So blieb dem geängsteten, ohnmächtigen Prälaten nichts übrig, als „den König von Dänemark anzugehen, damit die livländische Kirche nicht arge Gefahr liefe“. Im Frühling 1221 willigte er in die harte Forderung des Königs: nicht nur Estland, auch Livland überlieferte er demselben, sobald die bischöflichen Mannen, die Rigischen, die Liven und Letten damit einverstanden seien. Die Selbständigkeit der deutschen Colonie schien geopfert, ihr Gründer das Werk seines Lebens zerstört zu haben.

A. selbst war der Bote seines Vertrages. Aber sobald die Kunde desselben sich in Livland verbreitete, erhoben sich Alle wie ein Mann, eher wollten sie das Land wieder verlassen, als dem deutschen Nationalfeinde, dem König von Dänemark, Gehorsam leisten. Von dieser Stimmung erfuhr der dänische Statthalter in Revel Erzbischof Andreas. Eben hatte er eine schwere Belagerung seiner einsamen Burg im Norden durch die Oeseler erlitten, nur ein glücklicher Zufall hatte den Untergang abgewandt; traten zu den vorhandenen zahlreichen Feinden nun auch noch die Deutschen, so war die schwache dänische Colonie verloren. Der Erzbischof lud daher A. und Volquin zu sich, versprach ihnen die Freiheit Livlands wieder zu erwirken, wenn sie dafür mit ihm ein Bündniß gegen Heiden und Russen schlössen. Erfreut durch die ihnen gemachte Hoffnung gingen die Deutschen gern auf den Wunsch des Erzbischofs ein. Aber nicht Andreas, sondern nur Waldemar konnte Livland frei geben, die Zusicherung des Erzbischofs bedeutete wenig, so lange sie der König nicht bestätigt hatte. Um vollständig Herr des Ostens zu werden, landete dieser 1222 auf Oesel, mit der Unterwerfung der Insel sollte die Eroberung Estlands beendet werden. Hier fand sich A. mit zahlreicher Begleitung beim König ein und brachte das Versprechen des Erzbischofs vor. Es wurde Waldemar schwer, die glänzende Hoffnung auf die Herrschaft über die ganze deutsche Colonie fallen zu lassen, aber der allgemeine Widerwille der Livländer, sich ihm zu unterwerfen, war laut hervorgebrochen, und doch mußte er ihre Hülfe gewinnen, wollte er auch nur seine estländische Colonie mit den vorhandenen geringen Kräften in ihren weiten Grenzen behaupten. Als ihn auch seine dänischen Großen dazu beredeten, gab Waldemar den Bitten Alberts nach: Livland sollte wieder frei sein, dagegen mußte der Bischof auf Estland völlig verzichten, den kleinern südlichen Theil desselben trat der König dem Orden nochmals ab, der Rest nebst Oesel wurde den Dänen zuerkannt. Und wieder mußten sich die Deutschen verpflichten, diese große aber schwache Colonie des Nebenbuhlers vor allen Feinden zu schützen.

Das aber wurde schwerer, als beide Theile gedacht hatten: kaum hatte der König Oesel verlassen, da brachen die Eingeborenen die aufgeführte Zwingburg, riefen die Stammgenossen des Festlandes auf, die wildeste Empörung brach im ganzen Estenlande aus, unter entsetzlichen Greueln wurde Christenthum und Fremdherrschaft abgeschüttelt. Obgleich die Deutschen ihre ganze Macht aufboten, konnten sie die Abgefallenen doch nicht wieder unterwerfen, diese riefen die Russen herbei und verheerten weit und breit die unterworfenen deutschen Gebiete. Da griff A. noch einmal zu dem schon so oft erprobten Mittel, fuhr 1222 über Meer, erwirkte sich vom Papst die weitgehendsten Ablaßbullen, brachte ein großes Kreuzfahrerheer zusammen, das im Frühling 1223 in [201] Livland eintraf und dem Kampf gegen die Esten eine glückliche Wendung gab. A. selbst blieb noch in Deutschland zurück mit seinem Bruder Hermann, den er schon vor Jahren an Stelle des 1219 von den Esten erschlagenen Dietrich zum Estenbischof ernannt hatte, dessen Reise nach Livland aber bisher König Waldemar entschieden verbot, weil er Dietrich bereits einen dänischen Nachfolger gegeben hatte, suchte er noch einmal den Dänenherrscher auf, im Kerker seines erbitterten Feindes des Grafen Heinrich von Schwerin trafen sie den einst so Mächtigen. Nun erlaubte der Däne, was er doch nicht mehr hindern konnte, daß Hermann in Estland ein Bisthum angewiesen werde. So trafen im Frühling 1224 die beiden Brüder mit zahlreichen Pilgern in Livland ein, sie fanden fast ganz Estland wieder unterworfen, auch in den nördlichen, früher dänischen Landschaften war der Aufstand von den Deutschen niedergeschlagen. A. ordnete zunächst die Verhältnisse Estlands: die nordwestlichen Provinzen nahm er fürs erste an sich, den südlichen Theil, welchen der Orden sich vom Könige von Dänemark wiederholt hatte zusprechen lassen, wies er seinem Bruder Hermann als Sprengel an, der dann die westliche Hälfte desselben dem Orden als Lehn auftrug. So wurden die Hoffnungen der Ritterschaft auf eine selbständige Herrschaft in Estland vernichtet. Darauf einte A. alle deutschen Streitkräfte gegen die letzte Estenburg, welche noch Widerstand leistete: mit dem Fall Dorpats im Herbst 1224 war der große Estenaufstand in allen seinen Theilen gebrochen.

Nach vierzigjährigem Kampf herrschte endlich Frieden in der livländischen Colonie, „alles Volk ruhte unter dem Schirm des Herrn“. Diesen Frieden zu erhalten, seine Schöpfung nach innen zu kräftigen, ist nun Alberts vorzügliches Bemühen. Wie bereits 1199 unmittelbar nach seiner Erhebung, wie 1207 nach der Unterwerfung Livlands, wandte sich A. jetzt 1225, als das ganze festländische Estland bezwungen und das drückende Abhängigkeitsverhältniß zum dänischen König gelöst war, wieder an den deutschen Herrscher, der ihn auf seine Bitte zum Fürsten, sein Bisthum zur Mark des Reiches erhob. Und zum Schutz der weltlichen suchte A. den der höchsten geistlichen Autorität: er hatte immer ein gutes Verhältniß zu Rom zu erhalten gewußt, ihrem großen Gönner Innocenz III. dankte die junge Kirche Livlands die reichen Ablaßbriefe, die völlige Freiheit von jedem Metropolitanverband; auch Honorius III. war dem Bischof von Riga gewogen, hatte ihn gegen den König von Dänemark und den Erzstuhl Bremen, welcher Riga als Suffragran reclamirte, zu schützen gesucht. Gern willigte jetzt der Papst in die Bitte Alberts, einen Legaten nach Livland zu senden, der hier die inneren Verhältnisse kennen lerne, ordne und in päpstlicher Vollmacht bestätige. Vielleicht hoffte A. dann auch noch am Abend seines Lebens den Lieblingswunsch erfüllt zu sehen und mit dem erzbischöflichem Pallium geschmückt zu werden, um welches er schon vor einem Jahrzehent vergeblich gebeten hatte. Mit dem um Livland hochverdienten Legaten Wilhelm Bischof von Modena durchzog er das Land, regelte die noch schwankenden Verhältnisse, so gegenüber dem Orden, der Stadt Riga etc., fügte sich aber auch, wenn der Spruch des Legaten zu seinen Ungunsten entschied. Daß seine Colonie wachse und gedeihe, das lag ihm, der bald ein Menschenalter nur für sie gesorgt, am meisten am Herzen. Nach Deutschland segelte der bereits Bejahrte nicht mehr hinüber. Nur einmal noch zog er in den Streit, als im Beginn des Jahres 1227 die wilden seeräuberischen Oeseler bezwungen wurden, A. selbst vollzog die erste Taufe. Aus der unterworfenen Insel errichtete er ein neues Bisthum Oesel, zu dessen Gunsten er sogar auf den ihm zugefallenen Theil Estlands, die nordwestlichen Strandprovinzen, verzichtete und so seine langjährige segensreiche Thätigkeit mit einer neuen Gründung krönte. In weltliche Händel mischte er sich nicht mehr: als der Orden die dänische Colonie in Estland vernichtete und [202] das ganze nördliche Gebiet an sich riß, hat er das ruhig geduldet. Am 17. Jan. 1229 ist Bischof A. von Riga gestorben.

Ueberblickt man seine gesammte Wirksamkeit, so läßt sich die außerordentliche Bedeutung des Mannes nicht verkennen. Gegenüber seinen hohen Verdiensten fallen die Vorwürfe der Herrschsucht und Eitelkeit, von welchen er nicht ganz freizusprechen ist, hier, wo das sachliche durch das persönliche Interesse nie ernstlich geschädigt wurde, kaum ins Gewicht. In ein fremdes Land inmitten feindseliger Bewohner berufen, muß A. zur Lösung der ihm gestellten schweren Aufgabe alles, wessen er bedurfte, selbst schaffen. Um so größer ist sein Verdienst; den Ruhm des Gründers der livländischen Colonie, mit deren Geschichte die seine völlig verwachsen ist, mag ihm niemand kürzen. Sein politischer Scharfblick erkannte, daß ohne Unterwerfung die Bekehrung des Landes unmöglich sei; sein Organisationstalent wußte die Bahnen zu finden, die ihm die Kräfte des Landes zuführten, in welchen sich dann das politische Leben Livlands Jahrhunderte lang bewegt; seine rastlose Thätigkeit verstand das Interesse der deutschen Heimath für die ferne Colonie zu erregen und wach zu halten, sich selbst auch außer derselben eine geachtete Stellung zu erwerben. Ihren deutschen Charakter hat er seiner Schöpfung aufgeprägt, das politische Band mit dem Vaterlande hat er vom Beginn an so fest geknüpft, als er vermochte, ihm ist es zu danken, wenn das Land von der Küste Estlands bis über die Düna hinaus trotz der Verschiedenheit der Nationalitäten zu einem Ganzen verwuchs. Griff er einmal in seinen Mitteln fehl, so wußte er, sobald das Glück wieder lächelte, mit Geschick die günstige Gelegenheit zu erfassen und die unheilvoll drohenden Folgen abzuwenden: an seinem Lebensabend schwanden mit der dänischen Colonie auch die Spuren seines verhängnißvollen Schrittes, er darf sich wieder als Herren des Ganzen fühlen. Mit Recht verehrt Livland in ihm seinen Gründer und größten Bischof; Deutschland achte den Sohn, welcher der Heimath die weiteste und treueste Colonie geschaffen.

Heinrici chronicon Lyvoniae ed. W. Arndt in Pertz, Mon. Germ. Script. Tom. XXIII. R. Hausmann, Das Ringen der Deutschen und Dänen um den Besitz Estlands, 1870.