ADB:Eichler, August Wilhelm

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Artikel „Eichler, August Wilhelm“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 48 (1904), S. 295–298, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Eichler,_August_Wilhelm&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 09:38 Uhr UTC)
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Eichler: August Wilhelm E., Botaniker, geboren am 22. April 1839 zu Neukirchen im damaligen Kurhessen, † am 2. März 1887 in Berlin. Schon ein Jahr nach der Geburt des Sohnes siedelten Eichler’s Eltern nach Eschwege über, woselbst der Vater die Stelle eines Lehrers an der neu gegründeten Realschule erhalten hatte. Hier empfing auch E. seinen ersten Unterricht, der von 1853 an auf dem Gymnasium in Hersfeld fortgesetzt wurde. Ostern 1857 bezog er die Universität Marburg, um sich mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien behufs seiner Ausbildung für das höhere Lehramt zu widmen. Seine tüchtige botanische Schulung hatte E. in erster Linie dem anregenden Einflusse seines von ihm stets hochgehaltenen Lehrers Wigand zu danken; die Neigung hierzu war durch das Elternhaus und die anmuthige Natur seiner Heimath schon früh in ihm geweckt worden. Nach beendetem akademischen Triennium bestand E. im Sommer 1860 sein Staatsexamen und wurde alsbald als Lehramtscandidat zur Ablegung seines Probejahres an das Marburger Gymnasium berufen. Währenddessen erfolgte auf Grund seiner Dissertation: „Zur Entwicklungsgeschichte des Blattes mit besonderer Berücksichtigung der Nebenblattbildungen“ am 14. März 1861 seine Promotion zum Dr. phil. Zu einer festen Anstellung als Gymnasiallehrer kam E. aber nicht. Gleich nach Ablauf seines Probejahres berief ihn Phil. v. Martius (A. D. B. XX, 517) als seinen Privatassistenten nach München, um ihm bei der weiteren Herausgabe der schon seit 1840 erschienenen Flora brasiliensis, dieses größten Florenwerkes aller Länder, zur Seite zu stehen. Der Förderung jenes Unternehmens, dessen selbständige Leitung E. nach dem 1868 erfolgten Tode seines Gönners Martius übernahm, hat er einen beträchtlichen Theil seiner reichen Arbeitskraft gewidmet. Im J. 1865 habilitirte sich E. an der Münchener Universität und verlebte hier im Wechsel fleißiger Arbeit und angenehmer Geselligkeit fünf glückliche Jahre, vielleicht die sorglosesten seines Lebens. Am Beginn des Jahres 1871 folgte E. einem Rufe als Professor der Botanik und Director des botanischen Gartens an das Johanneum in Graz, nachdem er in demselben Jahre seinen Hausstand begründet hatte. Kaum 1½ Jahre später verließ er Graz wieder, um die ihm von der preußischen Regierung angebotene Professur in Kiel zu übernehmen. Er trat sein neues Amt daselbst am 1. April 1873 an. Fünf Jahre darauf wurde er Alexander Braun’s Nachfolger in Berlin. Der erweiterte Wirkungskreis bot ihm hier zwar ein reiches Feld zur Entwicklung seiner bedeutenden geistigen Anlagen, trug aber vielleicht durch zu große Inanspruchnahme seiner Kräfte mit dazu bei, seine Lebenszeit zu verkürzen. E. hatte eine anscheinend kräftige Constitution. Dennoch hatte er verschiedene schwere Krankheiten durchzumachen. Schon im ersten Jahre seines Münchener Aufenthaltes warf ihn ein Schleimfieber auf das Krankenlager, zwei Jahre danach packte es ihn von neuem, durch Hinzutritt eines Nervenfiebers complicirt. Ostern 1877 trat dann in Kiel ein heftiges und langwieriges Augenleiden auf, das ein Jahr später in Berlin sich wiederholte. Anfänglich glaubte man dasselbe als eine Folge zu großer Anstrengung durch nächtliche Arbeiten und vieles Figurenzeichnen ansehen zu können. Bald jedoch erwies sich als Wurzel des Leidens eine schlimme innere Erkrankung, die Leukämie, welche, durch aufreibende Thätigkeit Eichler’s in Berlin in ihrem Processe beschleunigt, dem Leben des trefflichen Gelehrten noch vor Ablauf des 48. Lebensjahres ein frühes Ziel setzte.

Durch zwei Hauptwerke hat sich E. in der botanischen Wissenschaft einen dauernden Namen gesichert, durch die Flora brasiliensis und die Blüthendiagramme. [296] Beide fallen in das Gebiet der Morphologie und Systematik, diese Disciplinen eng mit einander verknüpfend. In dieser Verbindung liegt eben die Eigenart der Eichler’schen Forschungsmethode. Seine systematischen Arbeiten ruhen auf morphologischer Grundlage, seine morphologischen sind Stützen des Pflanzensystems geworden. Als vergleichender Morphologe schloß er sich der Richtung seines Amtsvorgängers A. Braun an, obwol er dessen unmittelbarer Schüler nie gewesen ist. Schon Eichler’s Erstlingsarbeit, die oben erwähnte Dissertation über die Entwicklungsgeschichte des Blattes, erweckte die Aufmerksamkeit der Fachgenossen. Er hebt darin die wesentlichen Momente in der Entwicklung der phanerogamen Blattgestalten auf Grund zahlreicher eigener Beobachtungen und im Anschluß an die Ansichten früherer Forscher, namentlich Trécul’s (Ann. sc. nat. 1853) hervor und kommt dabei zur Aufstellung von acht Entwicklungstypen des Blattes, die Nebenblätter als Erzeugnisse des Blattgrundes nachweisend. Studien zur Entstehungsgeschichte des Blattes beschäftigten ihn auch später noch wiederholt. So schrieb er 1880 und 1881: „Ueber die Schlauchblätter (Ascidien) von Cephalotus follicularis“ (Sitzungsber. d. Gesellsch. naturf. Freunde in Berlin und Jahresber. d. Berl. Bot. Gart.) und 1885 die schöne Arbeit: „Zur Entwicklungsgeschichte der Palmenblätter“ (Abh. d. Akad. d. Wissensch. in Berlin). In Veranlassung der Uebernahme der Arbeiten für die Flora bras. wurde E. auf die Untersuchung der Blüthenverhältnisse bei den Gymnospermen hingewiesen, jener Uebergangsgruppe von blüthenlosen zu blüthentragenden Pflanzenformen, bei welchen die morphologische Deutung der Sexualorgane ganz besondere Schwierigkeiten bietet. In der 1862 in der Flora erschienenen Abhandlung: „Ueber die Bedeutung der Schuppen an den Fruchtzapfen der Araucarien“ erklärte E. die Schuppe der weiblichen Zapfen für ein geschlossenes eineiiges Fruchtblatt, damit also dieser Gruppe der Nadelhölzer die Gymnospermie absprechend. In seinen späteren Arbeiten über die Coniferen, so schon in der 1863 veröffentlichten Bearbeitung der brasilianischen Cycadeen und Coniferen (Flora bras. IV) trat er von dieser Ansicht zurück und in der ersten Auflage der Blüthendiagramme schlägt er vor, das kritische Organ der Coniferen weder als Ovulum noch als Fruchtknoten, sondern als ein Gebilde indifferenten Charakters zu betrachten, mit der Fähigkeit, sich durch Metamorphose bald zum entschiedenen Ovulum, bald zum typischen Fruchtknoten zu entwickeln. Infolge weiterer Untersuchungen dieser Frage modificirte E. mehrmals seine Ansichten über die Gymnospermie, so bereits im zweiten Theile der Blüthendiagramme (1878), Vor allem aber in einer 1881 publicirten Arbeit: „Ueber die weiblichen Blüthen der Coniferen“ (Monatsber. d. Berl. Akad.). Hiernach erkennt er den Gegensatz zwischen Gymnospermen und Angiospermen darin, daß ersteren jede Spur von Narbenbildung fehle, selbst da, wo, wie bei Juniperus, die Schuppen an Fruchtblätter erinnern, daß letztere dagegen nie carpelle ohne Narbe besitzen. Das Ovulum aller phanerogamen Pflanzen aber sei morphologisch dem Makrosporangium der höheren Kryptogamen gleichwerthig.

Kleinere Arbeiten Eichler’s, welche anatomische Fragen behandeln, schließen sich an seine Monographieen der Magnoliaceen und Menispermaceen für die Flora bras. (Band XIII), so die Abhandlung: „Menispermaceae americanae“, worin er die anomalen Holzbildungen bei diesen Pflanzen erläutert, und eine zweite Schrift, die sich mit der Structur des Holzes von Drimys und Trochodendron befaßt, zwei Gattungen, welche gefäßlose Stämme besitzen. Beide Arbeiten erschienen 1864 in der Zeitschrift Flora. Anläßlich seiner Arbeiten über die Cruciferen beschäftigte sich E. wiederholt und eingehend mit der morphologischen Deutung des Andröceums und erklärte die Sechszahl im [297] Antherenkreise als Folge einer Spaltung oder eines dédoublement. Er vertrat diese Ansicht außer in der Bearbeitung der Cruciferen für die Flora bras. (Band XIII) noch in zwei besonderen Aufsätzen in der Flora 1869 und 1872 und in seinen Blüthendiagrammen. Dieses letztere Werk, das Resultat fünfzehnjähriger angestrengter Arbeit, ist wol die bedeutendste morphologische Hinterlassenschaft Eichler’s. Es erschien davon der erste Theil 1875, der zweite 1878. Niedergelegt ist darin eine völlig erschöpfende morphologische Deutung der Blüthenverhältnisse der Phanerogamen mit einer bisher unerreicht gebliebenen Klarheit und prägnanten Kürze der Darstellung. Eine außerordentliche Fülle entwicklungsgeschichtlicher und vergleichender Studien war nothwendig, um eine solche umfassende Aufgabe durchzuführen. Der Werth des Werkes gewinnt noch dadurch, daß E., der über ein bedeutendes Zeichnertalent verfügte, die zahlreichen Diagramme eigenhändig auf Holz gezeichnet hat. Leider ist das Werk im Buchhandel vergriffen und unter den gegenwärtig lebenden Morphologen hat sich noch keiner zu einer Neubearbeitung desselben entschließen können. Viele Vorstudien zu den Blüthendiagrammen hat E. in einer Reihe von Einzelabhandlungen veröffentlicht in den Jahrgängen der siebziger und achtziger Jahre der Botanischen Zeitung, den Sitzungsberichten der Berliner Gesellschaft naturforschender Freunde und in dem von ihm 1881 begründeten Jahrbuche des Berliner botanischen Gartens. Ein vollständiges Verzeichniß sämmtlicher Publicationen Eichler’s findet sich als Anhang dem unten angeführten Nachrufe von Dr. Carl Müller beigegeben. Die systematischen Arbeiten Eichler’s sind zum größten Theil in seinen Monographien zur Flora brasiliensis niedergelegt. Abgesehen von seiner redactionellen Thätigkeit, die er fast 20 Jahre lang dem großen Werke gewidmet hat, übernahm er selbst die Bearbeitung folgender 24 Familien: Cycadeen, Coniferen, Dilleniaceen, Magnoliaceen, Winteraceen, Ranunculaceen, Menispermaceen, Verberidaceen, Capparidaceen, Cruciferen, Papaveraceen, Fumariaceen, Combretaceen, Loranthaceen, Oleaceen, Jasminaceen, Balanophoraceen, Violaceen, Sauvagesiaceen, Bixaceen, Cistaceen, Canellaceen, Crassulaceen und Droseraceen. Nach Eichler’s Tode ging die Redaction der Flora brasiliensis auf Professor Ignaz Urban, den zeitigen Unterdirector des Berliner botanischen Gartens über. Außerdem bearbeitete E. noch die Balanophoraceen für De Candolle’s Prodromus (Bd. XVII. 1873) und beschäftigte sich in seinen letzten Lebensjahren mit den Vorbereitungen zur Herausgabe der Scitamineen für die Flora bras.. Mehrere Abhandlungen über die Marantaceen und Zingiberaceen (Abh. u. Sitzungsber. d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1883 u. 1884) schildern die morphologischen und systematischen Verhältnisse dieser Familien. Im Todesjahre Eichler’s erschien die Bearbeitung der Gymnospermen für Engler und Prantl’s „natürliche Pflanzenfamilien“ (Bd. II). Zum Gebrauche beim akademischen Unterricht schrieb E. 1876 einen Leitfaden: „Syllabus der Vorlesungen über Phanerogamenkunde“, der in knappester Form unter Zuhülfenahme vieler abkürzender Zeichen eine Uebersicht über das natürliche Pflanzensystem nach der Auffassung des Autors gab und, unter Ausdehnung auf die Kryptogamen, mehrmals, zuletzt zum vierten Male 1886 aufgelegt wurde. Einen großen Theil seiner reichen Arbeitskraft wandte E. dem Ausbau und der Förderung der ihm unterstellten wissenschaftlichen Institute, des botanischen Gartens und Museums zu und erzielte während seiner nur zehnjährigen directorialen Thätigkeit in Berlin ganz außerordentliche Erfolge. In dem Garten schuf er eine besondere pflanzengeographische Abtheilung, eine solche für Arznei-, Gift- und für Nutzpflanzen, legte ein Alpinum an und suchte durch bessere Vertheilung der Gewächse, durch Terrainregulirungen, Schaffung von Rasenflächen mit [298] zweckmäßig darauf vertheilten Zierbeeten dem Ganzen auch nach der ästhetischen Seite hin den rechten Anstrich zu geben. Neben seinem Kunstsinn besaß E. auch ein ausgesprochenes Talent für das Praktische. Das beweist die Neuanlage eines Victoriahauses, die neu erbaute Umfassungsmauer des Gartens, vor allem aber die innere Ausgestaltung des botanischen Museums, für dessen äußeren Bau bereits sein Vorgänger Braun die Pläne ausgearbeitet hatte. Neben Eichler’s wissenschaftlicher und organisatorischer Thätigkeit darf endlich auch seine Bedeutung als Lehrer nicht vergessen werden. Sein Vortrag war klar und scharf pointirt, obwol ohne rednerischen Schmuck und wurde durch die bereits hervorgehobene große Gabe der bildlichen Darstellung wesentlich unterstützt. Trotzdem hat er eine eigentliche Schule von Botanikern nicht herangebildet. Dies lag zunächst wol in seinen umfangreichen, mit der größten Gewissenhaftigkeit ausgeführten Berufsgeschäften, die ihn hinderten, sich dem Einzelnen ausgiebiger zu widmen, dann aber auch in seinem Charakter. Der tiefe Ernst seines Wesens, die kurze und gerade Offenheit, womit er unverhohlen Lob und Tadel aussprach, konnte wol jüngere Anhänger abstoßen. Im Grunde aber beruhten diese Eigenschaften auf einer gewissen Scheu, Fremden gegenüber aus sich heraus zu treten. Der Kern seiner Natur war opferwillige Hülfsbereitschaft für jedermann. Das haben seine Fachgenossen, sowie die ihm unterstellten Beamten hinreichend erfahren. Immer bereit mit Rath und That zu unterstützen, gab E. gern, ohne auf Vergeltung zu rechnen. Die ganze Tiefe seines Gemüthes aber konnten nur die verstehen, welche Gelegenheit hatten, ihn im Kreise seiner Familie und im Verkehr mit seinen engeren Freunden kennen zu lernen.

A. W. Eichler, Nachruf von Dr. Carl Müller 1887. – Schumann, Bericht d. Deutsch. bot. Gesellsch. Bd. V u. Vossische Zeitung v. 5. April 1887. – Magnus, Abhandl. d. bot. Ver. d. Prov. Brandenb., Bd. XXIX. – Tschirch, Pharmaz. Zeitg. 16. März 1887. – Bot. Ztg. 1887.