ADB:Johann Sigismund

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Artikel „Johann Sigismund“ von Theodor Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 169–175, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Johann_Sigismund&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 09:19 Uhr UTC)
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Johann („Hans“) Sigismund, Kurfürst von Brandenburg, geb. am 8. November 1572, † am 23. December 1619, Sohn des Kurfürsten Joachim Friedrich und Katharinas, Tochter des Markgrafen Johann von Küstrin. Ein Fürst von edeln Empfindungen, „treuherzig und von ehrlicher Aufrichtigkeit“, den Lebensgenüssen, wie sie damals an den deutschen Fürstenhöfen üblich waren, nicht abhold, bevorzugte er doch diejenigen, welche seinen litterarischen und künstlerischen Neigungen entsprachen; ohne besonderes Talent zum Regieren und deshalb sowie wegen seines aufbrausenden Charakters als Regent ohne rechte Consequenz, Energie und Selbständigkeit wurde ihm das Loos zu theil, durch die Erwerbung der rheinischen Landschaften und des Herzogthums Preußen die Macht und politische Siellung seiner Nachfolger wesentlich zu erweitern, wiewol er selbst wegen der untergeordneten Rolle, die ihm dabei zufiel, und bei der Noth und Bedrängniß, die er dabei zu bestehen hatte, sich des Gewinnes nie bewußt und froh wurde. Dagegen setzte, suchte und fand er seinen Lebenslauf auf religiösem Gebiete in dem Versuche einer Vermittelung der confessionellen Gegensätze seines Zeitalters, und hat sich hierin, indem er dem Gedanken der Toleranz die Bahn brach, um dasselbe in hohem Grade verdient gemacht. In Halle, der damaligen Residenz seines Vaters, als Administrators von Magdeburg, 1572 geboren, ward er schon als Knabe an den Hof seines Großvaters, des Kurfürsten Johann Georg, gezogen, der, um ihn ganz in seinem Sinne heranzubilden, seine Erziehung dem strenggläubigen lutherischen Hofprediger Simon Gedike anvertraute. Erst im 16. Jahre (1588) erhielt der Prinz die Erlaubniß, mit seinem Bruder Johann Georg nach Straßburg zu gehen, wo er die Mangelhaftigkeit seiner bisherigen Bildung erkennend, sich zwei Jahre wissenschaftlichen und musikalischen Studien widmete. Die Besorgniß, daß der Enkel dort ketzerisches Gift eingesogen haben könnte, beseitigte der Großvater dadurch, daß er ihn am 27. Januar 1593, am Geburtstage seines Vaters und in dessen Gegenwart, einen Revers unterschreiben ließ, in welchem der Prinz sich verpflichtete, daß er bei den lutherischen Bekenntnißschriften bis an sein Lebensende verharren und in Schulen und Kirchen keine denselben widersprechende Veränderungen einführen [170] wolle. – Indeß ist auch der Ernst der Berufsgeschäfte an ihn herangetreten. Schon seit December 1591 mit der ältesten Tochter des Herzogs Albrecht Friedrich von Preußen, Anna, verlobt, seit 1594 ihr Gemahl, verlebte er die nächsten 14 Jahre größtentheils am Hofe seines geisteskranken Schwiegervaters in Königsberg, mit geringem Erfolge bemüht, in Verbindung mit seiner Schwiegermutter, Marie Eleonore, und seiner Gemahlin, die seit 1588 wegen der Abwesenheit Georg Friedrichs von Ansbach und des Kurfürsten Joachim Friedrich, die nacheinander die Curatel über den kranken Herzog führten, fast immer sich selbst überlassenen Preußen für die brandenburgische Erbfolge günstig zu stimmen. Auch die Zwischenzeiten, wo ihn der Tod des Großvaters oder der Streit seines Vaters mit den Stiefbrüdern über die Erbtheilung, in welcher J. S. mit erfolgreichem Eifer für die allseitige Anerkennung des geraischen Hausvertrages thätig ist, in die Mark führt, oder wo er in Deutschland unter den evangelischen Fürsten günstige Allianzen zu Stande zu bringen sich bemüht, bieten wenig Erhebendes. Ein Lichtbild in diesem Dunkel geht ihm auf, als er 1604 längere Zeit in politischen Geschäften am pfälzischen Hofe in Heidelberg verweilt. Hier findet er reiche Nahrung für Geist und Herz, nicht minder in dem engen Freundschaftsbunde mit der Pfalzgräfin Louise, der Tochter des großen Oraniers, den beide durch die gemeinsame Erziehung ihrer Söhne und durch die dereinstige Vermählung des Kurprinzen mit der dritten Tochter der Fürstin auf ihre Kinder zu vererben sich geloben, wie im Umgang mit den Theologen der Universität. Hier kommt zugleich in J. S. die Ueberzeugung zum Durchbruch, daß die Lehren der Calvinisten sicherer in der hl. Schrift begründet seien, als die entsprechenden des lutherischen Bekenntnisses; er erkennt sich durch den dem Großvater ausgestellten Revers nicht länger gebunden, wol aber treibt ihn sein Gewissen, die einmal erkannte Wahrheit auch öffentlich zu bekennen. Daß er durch äußere Gründe sich habe bestimmen lassen, sie vorläufig in sich zu bewahren, hat, wie er später bekannte, nicht wenig seinen inneren Frieden gestört. Schon deshalb übernimmt er den durch den Tod des Vaters (18. Juli 1608) erledigten Thron als eine drückende Last. Er war es auch in anderer Beziehung. Noch lebte zwar der letzte männliche Sproß der Herzoge von Jülich, Cleve, Berg, Johann Wilhelm; aber in der Erwartung seines baldigen Todes hatten bereits die Stände seines Landes, die Kronprätendenten, Spanien, der Kaiser, die Niederlande, Frankreich und die protestantische Union, denen die im folgenden Jahre gestiftete katholische Liga sich anschloß, ihre Pläne gefaßt, um im Falle der Erledigung das Schicksal des Landes nach ihren politischen Zwecken zu gestalten. Als dieser Fall am 25. März 1609 eintrat, unterließ der Kurfürst zwar nicht durch Absendung seines verständigen Bruders, Markgraf Ernsts, als Statthalters des beanspruchten Erbes und durch Aufbietung aller ihm verfügbaren Mittel seine Rechte wahrzunehmen; doch überkam den Kurfürsten im Verlaufe des mehrjährigen Kampfes das drückende Gefühl, daß er doch nur ein Spielball in den Händen der Großmächte sei, und daß selbst die scheinbar für ihn günstigen Entscheidungen, die er ihrer Vermittelung verdankte, der Vertrag von Dortmund (1. Mai 1609), welcher vorläufig Brandenburg und Pfalz-Neuburg als possidirende Fürsten zu gemeinsamer Verwaltung des Landes anerkannte, und der Vertrag von Xanten (14. Novbr. 1614), welcher, als Brandenburg und Neuburg sich entzweiten und zu entgegengesetzten Parteien schlugen, eine vorläufige Theilung des Erbes unter ihnen vermittelte, im Wesentlichen fast nur Rechte, die nicht einmal von allen Mächten anerkannt waren, und nur geringfügigen reellen Besitz gewährten, während thatsächlich das Land als Schauplatz des Kampfes den feindseligen Großmächten zu dienen fortfuhr, und schließlich der geringe Gewinn, den der Kurfürst aus dem [171] gewonnenen Erbe zog, in keinem Verhältniß zu den Summen stand, welche er theils als Mitglied der Union, theils zum Unterhalt eines besonderen Söldnerheeres aufzubringen gezwungen war, vielmehr finanzielle Verlegenheiten herbeiführte, aus welchen, da die märkischen Stände den Kampf als eine ihnen gleichgültige Sache betrachteten, nur eine unter drückenden Bedingungen gewährte dänische Anleihe (1610) augenblickliche Erleichterung verschaffte. Nicht minder schwere Sorgen bereiteten dem Kurfürsten die preußischen Verhältnisse. Wenige Wochen vor seinem Regierungsantritt war in Königsberg am 2. Juni 1608 die Hauptstütze der brandenburgischen Partei in Preußen, seine Schwiegermutter, Marie Eleonore, gestorben. J. S. empfand diesen Verlust um so schmerzlicher, da er noch auf der Reise, die er deshalb nach Königsberg unternahm, den Tod seines Vaters erfuhr und damit zur Zeit jedes Anspruchs auf die Regierung in Preußen beraubt war. Das bestimmte ihn, für die Mark vorläufig in Adam Gans v. Putlitz einen Statthalter zu bestellen und seine Thätigkeit längere Zeit Preußen ausschließlich zuzuwenden. Das that hier Noth. Denn während der König von Polen die vom Kurfürsten nachgesuchte Bestätigung seines Anrechtes auf die Curatel und Nachfolge auf den Reichstag, der zu Anfang 1609 nach Warschau berufen war, verwies, stellten sich vier Abgeordnete der dem Kurfürsten feindlichen Adelspartei in Warschau ein, welche zunächst die früher eingetroffenen kurfürstlichen Gesandten aus dem preußischen Gesandtschaftsquartier auswiesen, sodann in der Landbotenkammer in den rohesten Schmähungen gegen den verstorbenen Kurfürsten sich ergingen und zur Vorbeugung fernerer „brandenburgischer Tyranney“ die Einverleibung des Herzogthums in die polnische Republik verlangten. Die Frechheit verfehlte jedoch selbst bei den Polen des erwarteten Eindrucks, um so mehr, da die Abgeordneten der preußischen Städte ihnen widersprachen, der Kurfürst aber sein Anliegen durch Geldspenden wirksam unterstützte. So wurde denn letzterem die Uebertragung der Kuratel in Aussicht gestellt, was auch in Erfüllung ging, indem polnische Commissäre im Mai 1609 auf dem Königsberger Ständetage die Vormundschaft des Kurfürsten proclamirten und zugleich jene vier Sprecher des Adels nöthigten, in ihrer Gegenwart Abbitte zu leisten. Bei dem bald zu gewärtigenden Tode des Herzogs genügte das dem Kurfürsten nicht, und er drang auf Bestätigung seiner Nachfolge. Erst nach zweijährigen Verhandlungen gelangte er zwar dazu, aber unter Bedingungen, die die Herzogsgewalt zu einer Art Statthalterschaft erniedrigten. Er mußte sich nicht nur zum Bau einer katholischen Kirche, zu einem jährlichen Tribut von 30000 fl. und zu einer gleichen Zahlung, so oft dem Könige in Polen eine Abgabe bewilligt wurde, verpflichten, sondern eröffnete, indem er demselben ein Patronatsrecht über die Freiheiten und Rechte der preußischen Stände, und die Appellation an denselben in allen Rechtshändeln, die den Werth von 500 fl. überstiegen, zugestand, der Einmischung der Polen in seine geringe Regierungsthätigkeit Thür und Thor. Aber selbst nachdem der Kurfürst am 16. Novbr. 1611 dem König persönlich auf diese Bedingungen gehuldigt hatte, vermochte nur angedrohte Gewalt die widerspenstigen Preußen zur Anerkennung seiner Nachfolge zu bestimmen. – Mit so niederdrückenden Erfahrungen im Verlaufe des J. 1612 nach der Mark zurückgekehrt, sah er sich hier von neuen Sorgen umdrängt. Der Kurfürst von Sachsen, erzürnt darüber, daß die possidirenden Fürsten seine Erbansprüche auf die rheinischen Lande unbeachtet gelassen, hatte sich mit dem Kaiserhofe verbündet und drängte darauf hin, daß der Kaiser den schwachen Brandenburger wegen seines Ungehorsams gegen die kaiserlichen Anordnungen lm jülichschen Erbstreite in die Acht erkläre, die Ausführung der Acht aber an Sachsen übertrage. Der lange Zeit ihn bedrohenden Gefahr stand J. S. schutzlos gegenüber. Im Verlaufe des J. 1613, wo alle diese Sorgen auf ihn einstürmten, [172] ermannt er sich zu dem Entschlusse, wenigstens Ruhe in seinem Gewissen zu gewinnen und den Widerspruch zwischen seiner religiösen Ueberzeugung und seinem öffentlichen Bekenntnisse zu lösen. – In den acht Jahren, die seit seinem Aufenthalte in Heidelberg verflossen, hatte ihn neben politischen Bedenklichkeiten vornehmlich der Widerspruch seiner hartnäckig lutherischen Gemahlin, die in der calvinischen Lehre eine Ableugnung der Gottheit Christi fand, während sie ihrem Gemahl sonst die treueste Ergebenheit bewies, zurückgeschreckt. Doch fand er auch manche Gründe der Ermuthigung. Trotz aller ausgestreuten Verdächtigungen hatte das Volk in der Mark Vertrauen und Liebe zu ihm gewonnen. Die Bewohner Berlins erkannten es dankbar an, daß er, um die Rohheit der Volksbelustigungen zu mildern, ihnen in den Darstellungen seiner musikalischen Kapelle und in den englischen Schauspielen neue edlere Genüsse anbot. Als ihren „gnädigsten Herrn und Vater“ begrüßten ihn die Zöglinge in Joachimsthal, die er zur Darlegung ihrer musikalischen Leistungen nach Schloß Grimnitz einlud, wo er dem tapferen Geiger wol selbst auf die Notenblätter leuchtete, wenn der Edelknabe, dem es aufgetragen war, sich ungeschickt dabei benahm. Auch durfte er für seine Absicht auf zahlreiche Zustimmung rechnen. Schon neigten sich viele Geistliche, selbst der Generalsuperintendent Pelargus, der schweizerischen Lehre zu; auf der Universität konnte er auf den Beitritt der meisten Docenten rechnen; auch in seinem Geheimrathe und unter den Hofleuten herrschte diese Richtung vor, selbst unter dem Märkischen Adel konnte er auf die Knesebecks, Dieskaus, Gans v. Putlitz zählen. In der kurfürstlichen Familie waren schon um 1612 die Markgrafen Ernst und Johann Georg offen zum calvinischen Bekenntniß übergetreten. Er sah ein günstiges Zeichen auch darin, daß er bei seiner Huldigung in der Kur- und Neumark, ohne Widerspruch zu finden, die Verpflichtung auf die Concordienformel unterlassen konnte. Hierauf vertrauend, schreitet er offen und besonnen zur Ausführung seines wohlüberlegten Planes. Am 18. December 1613 beruft er die Geistlichkeit der Hauptstadt vor sich und läßt ihr durch seinen Kanzler vorhalten, daß, so wenig er gesonnen sei, sein Regiment auf die Gewissen seiner Unterthanen auszudehnen, ebenso wenig auch diesen zustehe, ihrem Herrn seinen Glauben vorschreiben zu wollen. Er versichere sie, daß er sie im Gebrauch des bisherigen kirchlichen Dienstes nicht stören werde, erwarte aber, daß auch sie in ihren Predigten über den Act, den er zu begehen beabsichtige, mit geziemender Bescheidenheit sich äußern würden. Am ersten Weihnachtstage empfängt er sodann mit allen seinen Anhängern im Dome das hl. Abendmahl nach der in der Pfalz gebräuchlichen Form. Als darauf trotz seiner Ermahnungen die lutherischen Geistlichen die Schritte des Fürsten auf den Kanzeln ihrer Beurtheilung unterziehen und durch gehässige Deutung derselben die große Menge zur Störung der öffentlichen Ordnung aufreizen, veröffentlicht der Fürst am 24. Februar 1614 die später mit dem Namen des Toleranzediktes verbreitete Verordnung, welche unter wiederholter Darlegung seiner Grundsätze alles Lästern und Schelten auf andere Glaubensansichten bei Strafen bis zur Amtsentsetzung verbietet, und läßt diesem Edikt im Mai 1614 in seiner Confessio eine umfassende Auseinandersetzung seines Wollens und Strebens folgen. In allen diesen Erklärungen geht der Fürst von dem Wunsche und der Hoffnung aus, eine übereinstimmende Ueberzeugung zwischen sich und seinen Unterthanen fern von jedem Zwange zu erzielen. Er betrachtet die von ihm beabsichtigte Reform als eine Fortsetzung der von seinen Vorfahren vorgenommenen Reinigung des Glaubens von menschlichen, nicht in der hl. Schrift begründeten Zusätzen; er denkt sichtlich an Joachims II. christliche Kirche. Indem er sodann sich zur hl. Schrift als der Grundlage des Glaubens und zur augsburgischen Confession in der Melanchthonischen Ueberarbeitung [173] bekennt, weist er für seine Person die bindende Kraft der später abgefaßten Bekenntnißschriften, namentlich der Concordienformel deshalb zurück, weil sie viel Streitiges und dem göttlichen Worte nicht überall Entsprechendes enthalte. Indem er endlich die Streitfragen, welche die damaligen evangelischen Kirchen trennten, näher durchgeht, hält er überall die Voraussetzung fest, daß eine Einigung derselben möglich sei, und daß, wenn er gleich für seine Person den Einigungspunkt in einer größeren Annäherung an Calvin finde, er weit davon entfernt wäre, der bloßen Auktorität eines Menschen sein Gewissen unterzuordnen, wie denn auch seine (die reformirte) Confession (was er an der hl. Abendmahlslehre, an der Lehre von der Gnadenwahl u. a. nachweist) von Calvin mehrfach abweiche. – Von der Wahrheit seiner Ueberzeugungen durchdrungen, hatte er sichtlich theils einen zahlreichen Uebertritt seiner Unterthanen zur reformirten Kirche erwartet, theils die Anerkennung der Gleichberechtigung der Reformirten und Lutheraner gehofft. In dieser Voraussetzung rief er noch im J. 1614 eine neue oberste kirchliche Behörde, einen Kirchenrath, ins Leben, welche aus Weltlichen und Geistlichen, Reformirten und Lutherischen, paritätisch gebildet und gleich dem von seinem Vater gebildeten Staatsrathe ausschließlich dem Kurfürsten verpflichtet, die Interessen beider Konfessionen wahren und für die Erhaltung des Friedens, sowie für die Anbahnung eines Ausgleiches unter ihnen thätig sein sollte. Aber seine Erwartungen schlugen gänzlich fehl. Trotz zahlreich erlassener Einladungen fanden sich zur ersten Abendmahlsfeier nur 55 Theilnehmer ein, und auch Ostern 1615 war ihre Zahl nur bis 74 gewachsen. Ebenso hartnäckig aber weigerten sich die berufenen lutherischen Geistlichen mit reformirten Amtsbrüdern im Kirchenrathe zu sitzen. Noch hoffte er eine Zeit lang zum Ziele zu gelangen, wenn er die Halsstarrigkeit der Geistlichen bräche. Daher ladet er im Herbste 1614 die Geistlichen der Hauptstadt ein, in einem in seiner Gegenwart auf dem Schlosse zu führenden Religionsgespräche mit Theologen seiner Richtung über die Streitpunkte zu disputiren, auch den Laien wird der Zutritt gestattet; er selbst verpflichtet sich, sobald man ihn aus der hl. Schrift eines Irrthums überführe, denselben sofort zu widerrufen. Aber die lutherischen Geistlichen wissen zu gut, daß sie an gelehrter Bildung und Gedankenschärfe den Theologen des Fürsten nachstehen, und sträuben sich aufs Aeußerste dagegen. Als der Kurfürst sie dennoch am 3. October, 45 an der Zahl, vor sich fordert, erniedrigen sie sich zu demüthigen Bitten, ihnen die Disputation zu erlassen, denen jener nachgiebt, als sie mit einem Handschlage geloben, dem Edikte vom 24. Februar gewissenhaft nachzukommen. Aber auch damit war wenig erreicht. Hinter den Geistlichen stand die große Mehrheit der Nation aus allen Ständen. Schon nach wenigen Monaten brachen an verschiedenen Orten Pöbelaufstände aus; sie werden unterdrückt; aber selbst die Nachsicht und Milde, die er den Verirrten angedeihen läßt, mäßigt den Fanatismus wenig. Dazu traten noch vor Schluß des J. 1614 die märkischen Stände für das gefährdete Lutherthum in die Schranken. Zur Bewilligung einer Contribution aufgefordert, drohen sie mit Verweigerung derselben, wofern er nicht die Alleinherrschaft der Concordienformel wiederherstelle. Solcher Drohung trat der Fürst mit dem vollen Gefühl seiner Würde entgegen; bis zum letzten Blutstropfen, läßt er ihnen sagen, werde er bei der erkannten und bekannten Religion verbleiben, und sollte er auch der Contribution 1000 Mal „in Mangel stehen“. Das bleibt nicht ohne Wirkung. Die Stände willigen in alle seine Forderungen, entschuldigen ihr Benehmen, versichern, es sei nicht ihre Meinung den Kurfürsten „aus der Hand zu geben“. Als sie ihm aber sodann die Frage vorlegen, ob er die Kirchen wider den Willen der Gemeinden umgestalten, ob er insbesondere in den Kirchen landesherrlichen Patronates den Gemeinden wider [174] ihren Willen verhaßte Prediger und Lehrer aufdrängen wolle, da ward sein Pflichtgefühl auf eine harte Probe gestellt. Persönlich überzeugt, daß er den Unterthanen die bessere Lehre darbiete, stand ihm auf Grund des Religionsfriedens unzweifelhaft als Landesherr und Patron das Recht zu, die Kirchen nach seinem Willen einzurichten; seine Nachbarfürsten in Kursachsen und in der Pfalz hatten ihre Unterthanen zu verschiedenen Malen genöthigt mit ihm die Confession zu wechseln, Hinrichtungen und Verbannungen hatten den Widerspruch gebrochen. Aber der von ihm verheißenen Gewissensfreiheit gegenüber trug der edle Fürst kein Bedenken selbst auf sein Patronatsrecht, das jeder seiner Edelleute auszuüben fortfuhr, zu verzichten. In dem am 6. Febr. 1615 den Ständen ausgestellten Reverse gestattet er jedem seiner Unterthanen, der es wolle, bei der ungeänderten A. C. und der Concordienformel zu verbleiben; er verspricht in den Kirchen seines Patronates keiner Gemeinde Prediger, denen sie abgeneigt ist, aufzudrängen, verspricht endlich die Geistlichen der lutherischen Kirche auf die Concordienformel zu verpflichten. Aber an demselben Tage erhält auch die von dem Fürsten im Dome gebildete Gemeinde die Zusicherung, daß er die Reformirten, als den Lutherischen vollkommen gleich in seinen Schutz und Schirm nehme; die Universität Frankfurt, deren Besetzungsrecht er sich vorbehält, ertheilt ihre Grade allen Evangelischen, welche die Augsburgische Confession schlechthin anerkennen; das Toleranzedikt vom 24. Febr. 1614 bleibt in voller Kraft; des Kirchenrathes freilich wird seit 1618 nicht mehr gedacht. Der hohe Gedanke der Gewissensfreiheit und der Gleichberechtigung der religiösen Ueberzeugungen, den J. S. allerdings in beschränkter Form zum ersten Male zur Geltung brachte, ist als theueres Vermächtniß auf seine Nachkommen übergegangen und unter den glücklichsten Verhältnissen durch sie zur reichsten Entfaltung gelangt. Dem Fürsten freilich, der ihn ins Leben gerufen, bereitete das, was er geschaffen, nur vier Jahre der schwersten Betrübniß. Zunächst in seinem Hause. Seine Gemahlin Anna blieb nicht nur selbst eine zelotische Lutheranerin, sondern erhielt ihre Töchter und ihren zweiten Sohn Joachim Sigismund in derselben Abneigung gegen den Vater, ja bot auch den eifernden Geistlichen einen mächtigen Rückhalt. In den Nachbarstaaten Pommern und Sachsen, vor allem auf der Universität Wittenberg ermunterte man durch Schmähschriften und Schmähreden, die man gegen den Kurfürsten verbreitete, die Märkischen Zeloten in ihrem Ungehorsam gegen das Toleranzedict. Noch Härteres hatte der Fürst im Herzogthum Preußen zu erdulden. Sobald sein Glaubenswechsel dort bekannt wurde, erhob sich gegen ihn ein allgemeiner Sturm, dem vor allem der Hofprediger Johann Behm den Ausdruck gab, indem er in einer Druckschrift alle Preußen vor des Kurfürsten Ketzerei warnte und mit zahlreichen anderen Eiferern in Polen Klage darüber führte, daß jener auch in Preußen das Toleranzedict veröffentlicht hatte. Von den Jesuiten in Warschau unterstützt wirkte er einen königlichen Befehl aus, welcher jenes Edict aufhob und die alte Bestimmung, daß kein Reformirter ein Amt erhalte, dahin verschärfte, daß die des Calvinismus Verdächtigen zur Abschwörung desselben gezwungen werden sollten. Vergebens suchte der Kurfürst durch sein persönliches Erscheinen im October 1616 die Unruhen zu stillen; Geistlichkeit und Adel wetteiferten nun darin, ihn seine Ohnmacht empfinden zu lassen. Die Aufforderung, welche er an die Geistlichen zu einer Unterredung mit seinen Theologen ergehen ließ, wies Behm als eine Neuerung zurück, da solche nur in der akademischen Aula gestattet sei. Daß der Kurfürst Ostern 1617 in einem Saale des Königsberger Schlosses von seinen Geistlichen die Communion empfing, gab zu neuen aufrührerischen Predigten, zu einer Anklage in Warschau und zu einer Untersuchung polnischer Commissarien Anlaß, welche letztere verständiger als die zelotischen Lutheraner sich bezeigten. [175] Unmittelbar darauf wurde an eine Vertheidigungsschrift, die der Kurfürst veröffentlichen wollte, die Anforderung gestellt, daß er sie, wie die eines Privatmannes, der Censur des Rectors der Universität unterwerfe, ja in Anwesenheit des Fürsten dem Hauptmann von Balga, einem Truchseß von Waldburg, der zur reformirten Lehre übergetreten war, nur die Wahl zwischen Absetzung und Abschwörung seines Irrthums gelassen und die erste durchgesetzt. Als darauf der Kurfürst 1617 sich weigerte, einen Landtag zu berufen, traten die Stände mit Genehmigung des Königs von Polen eigenmächtig zusammen und beschränkten die Rechte ihres Fürsten in dem Maße, daß ihm kaum ein Schatten fürstlicher Gewalt verblieb, selbst das Recht, gleich den Lutheranern das Jubiläum der Reformation am 31. October zu feiern, wurde ihm streitig gemacht. Noch erlebte er den Tod des Herzogs von Preußen, der am 26. August 1618 starb. Wenn die Polen und die preußischen Stände ohne Bedenken ihn als seinen Nachfolger anerkannten, so verdankte er dies nur den Siegen des Königs Gustav Adolf von Schweden, der damals in Folge derselben bis zur Düna vorgedrungen war, und der Furcht, daß der Kurfürst, wenn man ihn verletze, sich jenem als Bundesgenosse anschließen könnte. Doch kehrte dieser bald nachher, seinen Kurprinzen in Preußen zurücklassend, in die Mark zurück. Tief bekümmert durch das, was er erlebt hatte und durch die in Böhmen ausgebrochenen Unruhen, die einen allgemeinen Krieg in Aussicht stellten, und früh gealtert, gestand er seiner Umgebung, er wäre dieses Lebens müde und satt, und wenn sein lieber Gott komme und wolle ihn auflösen, so wäre er bereit. Als im nächsten Jahre wiederholte Schlaganfälle ihn unfähig machten, seine Regentenpflichten zu erfüllen, übertrug er am 12. Nobr. 1619 die Regierung feierlich seinem Sohne und zog sich selbst in das Haus seines Kammerdieners Freitag zurück, woselbst er am 23. Decbr., erst 46 Jahre alt, starb.

Ranke, Genesis. Droysen, Preuß. Politik. v. Baczko, Gesch. von Preußen.