ADB:Mergenthaler, Ottmar

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Artikel „Mergenthaler, Ottomar“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 325–327, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mergenthaler,_Ottmar&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 01:36 Uhr UTC)
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Mergenthaler: Ottomar M., der Erfinder der modernen Setzmaschine, wurde am 10. Mai (oder November) 1854 zu Dürrmenz, Oberamt Mühlacker, [326] in Württemberg geboren. Im benachbarten Hachtel als Sohn eines Dorflehrers aufwachsend, zeigte er von Jugend auf regstes Interesse für Mechanik, erlernte vorläufig bei seinem Oheim Hahl in Bietigheim die Uhrmacherei und trat 1872, über den Ocean ausgewandert, in seines Vetters Hahl in Washington Fabrik elektrotechnischer Apparate in Stellung, wo er bald durch Fleiß und Selbständigkeit sich einen Achtung gebietenden Posten errang. Umgang mit Schriftsetzern brachte ihn auf die Idee seiner epochemachenden Erfindung. Unmittelbarer Anlaß dazu war der Auftrag, für die inzwischen nach Baltimore verlegte Anstalt eine sehr mangelhafte Schreibmaschine umzuconstruiren. Anfangs wollte er die Erzeugnisse der letzteren mittels Steindrucks vervielfältigen. Als ihm ein solches Verfahren neben dem Steindruck nicht concurrenzfähig erschien, löste er das Problem erfolgreich in durchaus origineller Weise. Er construirte nämlich eine Maschine, mit deren Messingmatrizen er einzelne Buchstaben in Maternplatten prägte, um von diesen Sterotypplatten zu gießen. Auf diesem Wege ließ sich nun allerdings kein dem bisherigen Handsatz ebenbürtiger herstellen, da die eingeprägten Buchstaben oft zu hoch oder zu tief in der Satzebene standen und nicht Linie hielten. Dieselbe Unregelmäßigkeit trat M. entgegen, als er statt der Typen Matrizen setzte und von diesen goß. Endlich nach den kostspieligen Mühen und Versuchen zwölfjähriger anstrengender Geistesarbeit, die über 4 Millionen Mark amerikanischer Capitalien verschlungen haben sollen, stellte M. anfangs der achtziger Jahre auf Grund harmonisch in einander greifender Erfindungen in New-York die erste selbstthätige Zeilen-Setz-, Gieß- und Ablegemaschine auf. Diese setzt als Grundelement des Satzes an die Stelle des Buchstabens die Zeile von Messingmatrizen mit je einem Buchstaben durch eine anreihende Claviatur, gießt sie in einem in der Maschine befindlichen Gießapparat druckfertig und legt sie automatisch ab; sie vertritt also die Thätigkeit dreier verschiedener Fachleute zugleich und leistet, indem das Ablegen wegfällt, die Arbeit 5–6 geübter Handsetzer. Die Durchschnittsleistung des an ihr arbeitenden Maschinensetzers beginnt mit 3500 und steigt bis auf über 10 000 Buchstaben in der Stunde. Dies Wunder- und Meisterwerk, die Linotype geheißen, hat sich seitdem in der Praxis tausendfach bewährt, J. Gutenberg’s Riesenthat gleichsam neu gekrönt und den unermüdlichen Genius Mergenthaler’s unsterblich gemacht. Dieser selbst erhielt vom Technical Institute zu Philadelphia den großen Ehrenpreis für die bedeutendste Erfindung des Decenniums. Zwar gründete er 1893 in Baltimore eine eigene Fabrik, mußte sich aber infolge der durch Ueberanstrengung entstandenen argen Erschütterung seiner Gesundheit schon einige Jahre danach vom Betriebe zurückziehen und ist in der Blüthe des Lebens, 45 Jahre alt, zu New-York viel zu früh einem tückischen Lungenleiden erlegen, am 28. October 1899. Die Geschichte der Buchdruckerkunst, der er, ein würdiger Nachfolger Friedrich König’s, des genialen Schöpfers der Schnellpresse, das zweitschwierigste technische Räthsel müh- und wundersam bewältigt hat, wie die der neuzeitlichen Erfindungen überhaupt verzeichnen seinen Namen mit goldenen Lettern. Man höre aber, daß, wie König für die Ausnutzung seiner innerhalb des Druck-, insbesondere des Zeitungswesens umstürzlerischen Erfindung erst in England die nöthige finanzielle Unterstützung gefunden, Yankeegeld Mergenthaler den Ausbau seiner sieggekrönten Idee ermöglicht hat, im Vertrauen auf das richtige Princip der deutschen Construction, auf das Genie ihres Urhebers.

Anderthalb Jahrzehnte nach ihrer endgültigen Einführung war die Linotypemaschine in Amerika und England in mehreren Tausenden von Exemplaren in Verwendung und hatte auch trotz ihres verhältnißmäßig teuren [327] Preises im Vaterlande des Erfinders, Deutschland, ihren Einzug gehalten; aber noch bei Mergenthaler’s Tode gebrauchte man bei uns nur erst Maschinen amerikanischen Ursprungs, und Schwartzkopff in Berlin fing erst mit der Herstellung für das Deutsche Reich an. J. R. Rogers’ und F. E. Bright’s Imitation Typographe trat bald in umfänglichem Maaße – anderthalb Jahre nach Mergenthaler’s Ableben in Deutschland neben 211 System Linotype 169 Typograph –, W. S. Scudder’s Monoline, dann System Thorne, Vorreiter und Müllendorf (Berlin) u. A. in geringerem mit der großartigen Leistung Mergenthaler’s in mehr oder weniger lauteren Wettbewerb, ohne ihm den Ruhmeskranz, daß er das Eis gebrochen, und das durchschlagende Hauptverdienst an dem eintretenden gewaltigen Fortschritte entwinden zu können.

Nachruf Gartenlaube 1899, Nr. 46, Beilg., mit Bildniß und knapper Erläuterung des Technischen. Letzteres ausführlich in dem Nekrolog des Allgemein. Anzeigers für Druckereien (Frankfurt a. M.), 26. Jahrg., daraus abgedruckt z. B. in der Feuilletonbeilage zu Nr. 306 des Beobachters am Main (Aschaffenburg) v. 11. Novbr. 1899; in dieser Tageszeitung Nr. 144 vorzüglicher Aufsatz über Mergenthaler’s Erfindung vom Redacteur E. K[ley], ebd. 1901, Nr. 71 S. 2 Ziffernangaben über die Setzmaschinen in Deutschland, nach dem „Correspondenten für die Buchdrucker“. Vgl. auch: Typographische Jahrbücher, Archiv f. Buchgewerbe, Deutsch. Buch- und Steindrucker (6. Jahrg.; darin i. d. Weihnachts-Nr. v. 1899, S. 149, Angaben über den Eroberungszug der Linotype in Deutschland, der oben benutzt wurde), Journal für Buchdruckerkunst, Neuer Druckerei-Anzeiger, Oesterr.-ungar. Buchdrucker-Ztg.; in sämmtlichen älteren Ursprungs sind auch die betreffenden Artikel aus der Periode des ersten Hervortretens der Linotype zu vergleichen, hierfür auch das besonders eingeheftete ausführliche Specialreferat über Setzmaschinen in Meyer’s Conversationslex.5 XV, 947 mit Abbildungen, wie auch in den meisten soeben angezogenen Artikeln. Kurzer Artikel über M. i. d. 249. Beilg. d. Allg. Ztg. 1899, S. 8, und den meisten größeren Tageszeitungen. Lebens- und Charakterskizze vom Unterzeichneten im Biograph. Jhrbch. u. Dtsch. Nekrolog IV, 259.