ADB:Wurzbach-Tannenberg, Constant Ritter von

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Artikel „Wurzbach, Constant von“ von Karl Glossy in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 135–138, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wurzbach-Tannenberg,_Constant_Ritter_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 21:42 Uhr UTC)
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Band 55 (1910), S. 135–138 (Quelle).
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Wurzbach: Constant Ritter von W.-Tannenberg, geboren zu Laibach am 11. April 1818, besuchte, nachdem er die philosophischen Studien am Lyceum in Laibach vollendet hatte, die Universität Graz, um sich der Rechtswissenschaft zu widmen. Dem Beispiel seines Großvaters folgend, der sich als Hauptmann an den französischen Feldzügen betheiligt und sich im Gefecht bei San Giacomo (1795) ausgezeichnet hatte, trat W. 1837 als Cadet in das Infanterieregiment Graf Nugent, vormals Prinz de Ligne, ein und wurde 1841 zum Lieutnant befördert. Während der Militärzeit benutzte er die freien Stunden, um sich in verschiedenen wissenschaftlichen Disciplinen auszubilden und Kenntnisse fremder Sprachen zu erwerben. Noch als Officier unterzog er sich an der philosophischen Facultät in Lemberg den strengen Prüfungen und erwarb daselbst am 6. Juli 1843 den philosophischen Doctorgrad. Es war dies der erste Fall in Oesterreich, daß ein activer Officier zum Doctor promovirt wurde. Drei Jahre vorher veröffentlichte W. eine Sammlung epischer und lyrischer Gedichte unter dem Pseudonym Constant, das er auch später als Dichter beibehielt. Da er diese Gedichte ohne Bewilligung der Censur drucken ließ, wurde er deshalb in Untersuchung gezogen und mit einem Verweis bestraft. Im December 1843 verließ er den Militärdienst und wurde Beamter der Universitätsbibliothek in Lemberg. Mit großem Eifer gab er sich damals dem Studium der polnischen Sprache und ihrer Litteratur hin und unternahm es, gediegene polnische Schriften durch gelungene Uebersetzungen den Deutschen zu vermitteln. Zur selben Zeit beschäftigte er sich auch mit eigenen litterarischen Arbeiten, die mit Beifall aufgenommen wurden und zur Folge hatte, daß ihn Graf Stadion, als dieser im J. 1847 als Gouverneur nach Lemberg berufen wurde, mit allerlei publicistischen Arbeiten für die amtliche „Deutsche Zeitung“ betraute. In dem darauf folgenden Sturmjahre 1848 gelang es ihm, als Adjutant der akademischen Legion ein Complott der aus dem Auslande nach Lemberg strömenden Emissäre mit Gefährdung seines eigenen Lebens zu vereiteln, wodurch er sich Stadion’s vollstes Vertrauen erwarb, der ihn nach Wien entsendete, um über die Zustände in der Residenz zu berichten.

Im September desselben Jahres wurde er der Hofbibliothek zugetheilt, ohne jedoch daselbst thätig zu sein, da er zu publicistischen Arbeiten verwendet wurde. Nachdem W. kurze Zeit als provisorischer Archivar im Ministerium des Innern gewirkt hatte, wurde er am 21. April 1849 zum Vorstand der damals begründeten administrativen Bibliothek ernannt. Von Stadion’s Nachfolger, dem Minister Bach, 1853 beauftragt, der geistigen Bewegung in dem polyglotten Kaiserstaate seine Aufmerksamkeit zu widmen, legte W. bereits im nächsten Jahre den ersten litterarischen Bericht vor, dem bis 1857 noch zwei umfassende Berichte folgten. Die weitere Berichterstattung, sowie die in [136] der „Wiener Zeitung“ erschienene „Oesterreichische Bibliographie“ wurde jedoch von Bach’s Nachfolger, dem Grafen Goluchowski, der für das litterarische Leben in Oesterreich wenig Sinn und Verständniß hatte, eingestellt.

Inzwischen fand W. Gelegenheit, sich auf einem anderen Gebiete, und zwar als Verfasser des „Biographischen Lexikons für das Kaiserthum Oesterreich“, hervorragend zu bethätigen und dadurch eine Lücke auszufüllen, die bisher von jedem empfunden wurde, der für das geistige Leben der Monarchie Interesse hatte. Zwar waren in Oesterreich bis zum Erscheinen des Wurzbach’schen Lexikons bereits einige biographische Arbeiten veröffentlicht worden, wovon die meisten bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts reichten. Alle diese Werke aber behandelten in verschiedenen Landessprachen entweder nur das geistige Wirken einzelner Nationalitäten oder sie bezogen sich nur auf einzelne Culturzweige. Zu den frühesten Arbeiten auf diesem Gebiete zählt de Lucca’s „Das gelehrte Oesterreich“ (Wien 1776), das nach dem Muster des von Hamberger begründeten, von Meusel fortgesetzten Werkes „Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller“ verfaßt wurde. Schon de Lucca wies in der Vorrede zu seinem Lexikon auf dessen Nothwendigkeit im Interesse der geistigen Cultur hin. „Oesterreich“, schreibt er, „so reich dieses Land zu allen Zeiten an großen Männern war, so unbekümmert war man, sie dem Späterenkel bekannt zu machen“. De Lucca’s Werk, das sich nur auf Gelehrte und Schriftsteller beschränkte, hat in späterer Zeit keine Ergänzung erfahren, und erst im Beginn des 19. Jahrhunderts finden sich in verschiedenen Zeitschriften und Taschenbücher verstreut Ansätze einer biographischen Litteratur. Die von Armbruster begründeten „Vaterländischen Blätter“, Hormayr’s Archiv und dessen Taschenbücher enthalten bemerkenswerthe Leistungen auf dem Gebiete der Biographie. Den ersten Versuch einer Sammlung von Biographien unternahm der Schulmann Michael v. Kunitzsch, der in den Jahren 1805–1812 „Biographien merkwürdiger Männer der österreichischen Monarchie“ herausgab. Das gesammte Culturleben Oesterreichs in lexikographischer Form darzustellen wagten zuerst Gräffer und Czikann in dem sechsbändigen Werke „Oesterreichische National-Encyklopädie oder Alpabetische Darlegung der wissenswürdigen Eigenthümlichkeiten des österreichischen Kaiserthums“. Die Herausgeber bezeichneten es als ein Lexikon der Individuen des österreichischen Kaiserstaates, wodurch die Kenntniß des Vaterlandes popularisirt und auch dem Auslande eine hellere Ansicht des österreichischen Staates aufgeschlossen werden sollte. Für die Kenntniß der vormärzlichen Zeit ist dieses Werk auch heute noch sehr schätzenswerth, da es nicht nur Biographien, sondern auch bemerkenswerthe topographische Aufsätze und solche über verschiedene Gebiete der materiellen Cultur, wie z. B. über Landwirthschaft und Industrie, enthält. Ein derartiges Specialwerk konnte bis dahin kein Staat aufweisen, und es ist daher bemerkenswerth, daß nach dem Muster der österreichischen Encyklopädie schon nach kurzer Zeit eine sächsische und eine nationale Encyklopädie der Eidgenossenschaft folgten, die Plan, Form und Titel dem österreichischen Werke entlehnten. Dreißig Jahre nach der Ausgabe des Gräffer und Czikann’schen Werkes erschien der 1. Band von Wurzbach’s Biographischem Lexikon (1856), das 1891 mit dem 60. Bande abgeschlossen wurde.

„Mein Bestreben“, schreibt W., „war vor allem darauf gerichtet, den großen hervorragenden Vertretern des Geistes auf ihren verschiedenen Bahnen durch eine möglichst eingehende Darstellung ihres Lebens und durch Mittheilung der reichen, meist unbekannten Quellen über dasselbe so gerecht wie nur möglich zu werden.“ Einschließlich der Vorarbeiten beschäftigte ihn dieses Werk mehr als vierzig Jahre. „Als ich“, bemerkte er 1880 in einer Eingabe [137] an das Ministerium, „mein Werk begann, ahnte ich selbst nicht, welche Riesenaufgabe ich mir gestellt; denn ich kannte wohl die Geschichte der einzelnen Kronländer, in die einzelnen Träger der Cultur hatte ich mich nicht vertieft, und erst als ich im Zuge der Arbeit war, erkannte ich, welche Aufgabe ich mir gestellt. Ich mag auch nicht die Opfer aufzählen, welche ich dadurch gebracht, wie ich ein kleines väterliches Vermögen daran gewendet, wie ich zahlreiche lukrative Anerbieten, um mich meinem Werke ganz widmen zu können, abgelehnt, wie ich auch von allem geselligen Leben abgeschlossen, allen Genüssen, allen Zerstreuungen entsagt habe.“ Mit Befriedigung konnte er in einer anderen Zuschrift an das Ministerium darauf hinweisen, „daß diese kolossale Arbeit eines Einzigen ohne fremde Hülfe und ohne materielle Vortheile zu Stande gebracht wurde.“ Hätte W., wie es in seinem Plane lag, die Geschichte seines Werkes geschrieben, so wäre dies, wie er andeutet, eine nicht für Alle gleich erbauliche Lektüre geworden, denn der Verfasser hätte berichten müssen, wie viele Enttäuschungen er im Hinblick auf politische Ereignisse, hinsichtlich der in sein Lexikon aufgenommenen Persönlichkeiten erfahren und wie wenig Unterstützung er bei seiner Arbeit gefunden habe. Schon Meusel klagte über die Leiden eines Lexikographen und über die Launen und Grillen der Leute, die oft nicht einmal ihren Geburtstag angaben, „um vor den Augen ihrer Geliebten – wenn ihnen etwa das Buch in die Hand fiele – nicht älter zu erscheinen.“ Auch Gräffer hatte mit solchen Hindernissen zu kämpfen: „Viele tausend öffentliche Einladungen und Aufforderungen“, schreibt er in seinem Schlußworte, „blieben so gut als ohne Ergebniß; nichts zu erwähnen von so mannichfachen Hemmungen eigener Art.“

Bereits zehn Jahre vor Erscheinen seines „Biographischen Lexikons des Kaiserthums Oesterreich“, in welchem das Leben denkwürdiger Männer und Frauen, die seit nahezu zwei Jahrhunderten in den verschiedensten Sphären gewirkt, dargestellt wurde, begann W. mit seinen Vorarbeiten hierzu und sammelte in 1560 Cahiers, die gegenwärtig die Wiener Stadtbibliothek bewahrt, ein Quellenmaterial, das großen Fleiß und genaue Vorstudien bedingte. Außerdem legte er bereits als Officier eine Porträtsammlung an, die ihm bei der Angabe der Bildnisse werthvolle Unterstützung bot. Alle diese Vorarbeiten ermöglichten es dem rastlos thätigen Manne, in rascher Aufeinanderfolge Band um Band seines großen Werkes erscheinen zu lassen. Als er 1865 den 13. Band vollendet hatte, meinte er, es läge mehr als die Hälfte des Lexikons vor, aber für die folgenden Bände flossen die Quellen so reichlich, daß der Umfang über das festgelegte Maß hinaus weit überschritten wurde. In den erschienenen 60 Bänden sind nicht weniger als 24 254 Biographien aufgenommen; davon entfallen 1129 auf Ausländer, die sich um Oesterreich verdient gemacht, und 1719 auf Oesterreicher, die im Ausland hervorragend gewirkt haben. Unter den einzelnen Gruppen nimmt jene des Soldatenstandes den ersten Rang ein (4119); ihr folgen inbezug auf die Anzahl der Biographien: katholische und protestantische Theologen, einschließlich der Ordensgeistlichen (3663); Adelige (3420), Dichter und Schriftsteller (2880), Maler, Zeichner, Lithographen u. s. w. (2336), Componisten und Musiker (1472). Außerdem enthält das Werk 347 mit möglichster Genauigkeit angefertigte Stammtafeln. Es wäre unbillig, wollte man an dieses von W. ganz allein verfaßte Werk einen streng kritischen Maßstab anlegen und wegen einzelner Fehler die ganze mühevolle Arbeit abfällig beurtheilen. Es nimmt sich fast komisch aus, wenn hie und da auf eine falsche Jahreszahl hingewiesen wird, oder der Vermerk „bei Wurzbach nicht vorhanden“ als ein stiller Vorwurf gegen den Autor erhoben wird. Weit mehr berechtigt ist es, über die Ungleichheit [138] der einzelnen Biographien zu klagen, von welchen einige den Umfang einer Monographie erreichen. Auch ist es zu bedauern, daß die Fortsetzung der Nachträge, deren letzten der 28. Band enthält, unterblieben ist. Wie der Verfasser des Lexikons rechtfertigend mittheilt, sollen diese Fortsetzungen auf Wunsch der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, welche die Herausgabe des Werkes, das im Verlage der k. k. Hof- und Staatsdruckerei erschien, auch materiell unterstützt hat, unterblieben sein. Ebenso kann man dem Verfasser den Vorwurf nicht ersparen, daß er nicht immer ganz verläßliche Quellen benützt habe. Archivalische Quellen hätten so manchen Unrichtigkeiten vorgebeugt; sie hätten aber mehr als die Kraft eines einzelnen Menschen und eine längere Dauer als das Leben des Verfassers bedingt, dem trotz dieser Fehler das Zeugniß nicht versagt werden kann, daß er ein für die Geschichte der geistigen Cultur bedeutendes Werk geschaffen hat, das nicht nur zu ergänzen, sondern auch den wissenschaftlichen Anforderungen der Gegenwart entsprechend, neu zu bearbeiten wäre. Eine so große Aufgabe könnte aber nur durch berufene Fachleute und mit Unterstützung der Staatsverwaltung erledigt werden.

Von selbständigen Arbeiten Wurzbach’s erschienen noch: „Das Elisabethen-Buch. Festalbum denkwürdiger Fürstinnen“ (Wien 1854); „Das Schiller-Buch. Festgabe zur ersten Säcularfeier von Schiller’s Geburtstag“ (ebenda 1859); „Habsburg und Habsburg-Lothringen“ (ebenda 1862); „Mozartbuch“ (ebenda 1869); „Franz Grillparzer“ (ebenda 1871); „Ein moderner Maler“ [Eduard Steinle] (ebenda 1879); „Generalissimus Erzherzog Karl“ (Salzburg 1880); „Aus des Kaisers Franz Josephs Jugendtagen“ (Wien 1888).

Von litterar- und culturgeschichtlichen Werken Wurzbach’s sind noch zu nennen: „Die Volkslieder der Polen und Ruthenen“ (Lemberg 1846); „Die Sprichwörter der Polen und Ruthenen. Erläutert und mit ähnlichen anderer Nationen verglichen“ (Lemberg 1846); „Glimpf und Schimpf in Spruch und Wort. Sprach- und sittengeschichtliche Aphorismen“ (Wien 1864); „Die Kirchen der Stadt Krakau. Eine Monographie zur Geschichte und Kirchengeschichte des einstigen Königreiches Polen“ (ebenda 1853).

Wie bereits bemerkt, ist W. auch als Dichter in die Oeffentlichkeit getreten. Seiner ersten Gedichtsammlung „Mosaik“ (Krakau 1848) folgten: „Von einer verschollenen Königsstadt“ (Wien 1850. Eine zweite Auflage erschien 1856 bei Hoffmann & Campe in Hamburg); „Parallelen“ (2. Auflage Leipzig 1852); „Cameen“ (Düsseldorf 1854); „Der Page des Kaisers. Ein Gedicht von der Frau“ (ebenda 1854); „Gemmen“ (Hamburg 1854); „Cyklamen. Eine Sammlung lyrischer Gedichte“ (Wien 1873); „Aus dem Psalter eines Propheten“ (Darmstadt 1874).

Auch als Mitarbeiter an verschiedenen Zeitschriften entfaltete W. eine reiche Thätigkeit, insbesondere in der Wiener Theaterzeitung, deren Theaterkritiker er längere Zeit hindurch gewesen ist. Den größten Theil seines Lebens aber widmete er seinem Hauptwerk, dem „Biographischen Lexikon“, das er zwei Jahre vor seinem Tode vollendet hatte. Er starb nach längerem Leiden am 19. August 1893 in Berchtesgaden, wohin er sich nach seinem Scheiden aus dem Staatsdienste zurückgezogen hatte.

Wurzbach’s Berichte an das Ministerium des Innern. – Mündliche Mittheilung des Herrn Dr. Alfred Wurzbach. – Selbstbiograph. Skizze in Bd. 59 des Biogr. Lexikons des Kaiserthums Oesterreich, Wien 1890.